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7. Juli 2016

Jetzt nach vorne schauen und Handlungsfähigkeit zeigen

Auch in der zweiten Woche nach dem Referendum steht die Enttäuschung vielen Abgeordneten noch ins Gesicht geschrieben, von der ich in der letzten Woche gesprochen habe. Im Plenum in Straßburg haben wir jetzt in einer zweiten Debatte noch einmal über die tiefen Einschnitte dieses Votums gesprochen. Ich bin mir sicher, dass 2016 ein Schicksalsjahr für die Europäische Union ist.

Entweder zeigt sich die Europäische Union jetzt handlungsfähig oder die Menschen werden ihr das Vertrauen entziehen. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir keine neuen Vertragsdiskussionen brauchen, sondern mit einem konkreten und pragmatischen Ansatz überzeugen müssen. Dazu gehört: sich auf Wesentliches konzentrieren und nicht kleinste Details regeln, endlich – auch mit empfindlichen Sanktionen – das Einhalten der EU-Regeln erzwingen (Haushaltspolitik, Flüchtlingspolitik, …), den gemeinsamen europäischen Grenzschutz konsequent aufbauen, Synergien in der Außen- und Verteidigungspolitik nutzen, damit wir erstens Geld sparen und zweitens ein außenpolitisches Gewicht behalten, die Handelsabkommen CETA und TTIP schnell umsetzen, damit der Gewinn von Zollabbau und Handelserleichterung spürbar wird, die Austauschprogramm wie ERASMUS weiter ausbauen, damit junge Menschen Europa kennen und schätzen lernen (und bestenfalls für dieses Europa auch ihre Stimme abgeben). Europa braucht gemeinsames Handeln. Ein Europa der Nationalstaaten wird in einer globalisierten Welt keine Zukunft haben.

Dies alles im Blick gilt es jetzt, nach vorne zu schauen. Auf den Schatz von über 70 Jahren Frieden, den wir an den Außengrenzen bedroht sehen. Auf das gelingende Europa, das sich an den vielen (kaum noch spürbaren) Grenzen zeigt. Was wir dabei sicher nicht gebrauchen können, ist populistisches Brüssel-Bashing. Über die massive Kritik an Kommissionspräsident Juncker bin ich wirklich entsetzt. Wir können doch nicht ernsthaft glauben, dass die Person Jean-Claude Juncker Ursprung und Treiber der aktuellen Misere sei. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist der Nationalismus, der überall wieder aufkeimt und diese Krise prägt. Das wird an kaum einem Punkt so deutlich wie an der aktuellen Debatte um CETA. Man kann zu diesem Handelsabkommen (und zur Beteiligung nationaler Parlamente) stehen wie man will – aber dass eine Abstimmung aller 28 Regierungen im Europäischen Rat plus eine Abstimmung im Parlament der 751 gewählten Volksvertreter (dem Europäischen Parlament) ein „Durchboxen Junckers auf eigene Faust“ oder ein „Egotrip” sei, „ohne Volksbeteiligung” – wie ich in dieser Woche in der NOZ lese – das ist schon ein starkes Stück. Da wird gedankenlos vom „Demokratiedefizit“ gesprochen. Es ist das Europäische Parlament, das über CETA zunächst entscheidet. Wenn wir die Formen Europäischer Demokratie dauerhaft schlecht reden, dann dürfen wir uns über die Distanz der Bürgerinnen und Bürger zu Europa nicht wundern. Das Gegenteil wäre jetzt richtig: Endlich die Entscheidungen des Parlamentes ernst nehmen: Es sind die Nationalstaaten, die den Mehrheitsbeschluss des Parlamentes zur solidarischen Verteilung der Flüchtlinge blockieren, nicht Brüssel.